Hollen - Von Bert Strebe. Sie waren schon mal da. Das war im vergangenen Jahr, und alle haben gesagt, sie müssten unbedingt wiederkommen. Also sind sie tatsächlich am Donnerstagabend wiedergekommen, stehen in Martfeld-Hollen auf der Bühne der „Kastanie“: die „Zingaros“ aus Argentinien. Und weil sie wieder da sind, ist auch das Publikum wieder vollzählig erschienen. 20 Minuten vor Konzertbeginn gibt es draußen keine Parkplätze mehr.
„New Gypsy Tango“ steht auf der Setlist, sprich: Zigeunermusik. Darf man noch „Zigeunermusik“ sagen? Nun gut, sagen wir: Zigeunermusik de luxe.
Die drei Herren – Alejandro Montero mit seiner Gitarre, David Macchione samt seiner Geige und Alexander Gárate am Akkordeon – sind aber nicht allein da. Sie haben Verstärkung mitgebracht, aus Bremen: Die Band „Skupa“ macht auch – nun ja: Zigeunermusik. „Skupa“ besteht aus Birgit Hoffmann (Violine), Hendrik Jörg (Gitarre), Jan-Willem Overweg (Tuba) und Gert Woyczechowski (Percussion). Dass das Quartett auch da ist, ist ganz natürlich. Birgit Hoffmann war nämlich schon mit den „Zingaros“ auf Tour. Diesmal spielt erst die eine Truppe, dann die andere. Dann spielen beide.
„Skupa“ legt gleich furios los, schon das zweite Stück, eine Rumba, fegt mit allem Möglichen über die Köpfe der Zuhörer hinweg, nur nicht mit dem rumbaüblichen gedrosselten Temperament. Overweg zeigt, dass seine Tuba zu viel mehr imstande ist, als nur zu behäbigem Orchesterbassgetröte – die Töne hüpfen und singen und steppen bei ihm. Und so geht es weiter: Jörg schlägt Funken aus seinen Saiten, Woyczechowski bedient sein bemerkenswertes Equipment – Basskiste, große Spielmannszugtrommel mit Becken und persische Doumbek-Trommel – souverän und mit sichtlicher Freude. Und Birgit Hoffmann haucht mit ihrer Geige allem die Seele ein – mal eine Flamenco-, mal eine Jazzseele, und immer eine Zigeunerseele. Ganz zauberhaft: das Klezmerstück „Freylich“. Man sieht förmlich vor sich, wie in einem osteuropäischen Schtetl die Frauen zu dieser Musik die Röcke angehoben haben (zwei Zentimeter über die Knöchel, mehr nicht) und über das Katzenkopfpflaster getanzt sind. Es tanzen bald auch einige Damen im Saal. Manche sogar im Sitzen.
Und dann die „Zingaros“. Ihre Musik ist wie ein Gefäß, in dem Glück und Traurigkeit, Schwung und Schwermut, Verzückung und Zorn miteinander verschmelzen, unter Beigabe einer gehörigen Portion Liebe. Und mit einem Schuss Traumversunkenheit. Die Tempi sind stampfend langsam und rasend schnell, die Töne gläsern und brachial – und manchmal alles in einem einzigen Stück. Es ist nicht möglich, Macchiones Fingern auf dem Griffbrett mit den Augen zu folgen. Gárates Akkordeon weint und klagt und stöhnt und trillert und frohlockt. Montero holt aus seiner Gitarre trippelnde Sehnsucht und metallischen Furor heraus, und er singt auch – in Romani und in Spanisch. Und sogar auf Russisch: Das Stück, ein Traditional, heißt „Schwarze Augen“ und handelt von – richtig: schwarzen, leidenschaftlichen, schönen Frauenaugen mit herzverbrennendem Feuer darin. Vom Klang her eine waschechte Zigeunerweise. Aber Irrtum: Die Melodie stammt von dem deutschen Komponisten Florian Hermann.
Am Ende stehen alle sieben Musiker auf der Bühne der „Kastanie“, mit dem „Zingaros“-Stück „Odessa Bulgar“. Und da stehen sie hoffentlich alle auch nächstes Jahr wieder.